Janne - Menschen in der Landwirtschaft, 2025

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Die Azubi Janne, Interview am Dottenfelderhof am 21. November 2025

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Transkription Interview Janne

Ein Leben vor der Landwirtschaft: Von der Realschule bis zur Selbstständigkeit 00:00:13

Also die Ausbildung habe ich angefangen mit... wie alt war ich? 36? Ja, und ich habe mich ein bisschen komisch gefühlt, so spät im Leben eine Ausbildung anzufangen tatsächlich, weil viele Leute, glaube ich, in dem Alter schon super sesshaft sind oder Familie haben zum Beispiel, Häuser kaufen – also das passiert gerade in meinem Freundeskreis. Nicht bei allen, aber bei vielen. Und ich habe vor der Ausbildung viel gemacht im Leben.

Ich habe schon an mehreren Orten in der Welt gewohnt, fand ich sehr bereichernd. Also bin nach der Schule sozusagen... oder fangen wir eigentlich mit der Schule an, ich glaube, das ist auch interessant. Ich habe die Grundschule als sehr gut empfunden, ich war in einer sehr schönen Grundschule. Meine Realschule war ein härteres Pflaster. Da kam ich als sensibles Kind nicht so gut klar, habe mich dort sehr gut angepasst, habe dort so eine Härte entwickelt, die mir aber eigentlich nicht liegt. Also auch jetzt später im Leben merke ich, wie sehr mir das immer noch zu schaffen macht. Also dass ich mir so eine Härte, so eine harte Schale, so einen Kern – eher harte Schale, weicher Kern – aber einen harten äußerlichen Schutz angelegt habe, weil ich die Welt damals auch als sehr hart empfunden habe. Also als kleine Schülerin in so einer großen Realschule, da ging es heftig ab und ich bin jeden Tag nach Hause gekommen und war eigentlich so: "Oh Gott."

Und ich kann mich ganz stark erinnern, ich hatte einen Teppich in meinem Kinderzimmer, der war wie so kleine Planeten. Also das war ein blauer Teppichboden mit so farbigen Umrissen drauf. Und ich glaube, daher kommt auch meine Beziehung so zu Astronomie, Astrologie, Sternen, Himmelskörper generell. Und nur so ein kleiner Seitensatz dazu.

Jedenfalls nach der Realschule bin ich mit meiner Familie nach Amerika gezogen, da war ich dann elf Jahre alt und bin in ein komplett anderes Schulsystem gekommen. Das war sehr viel zugänglicher, würde ich es nennen. Ich hatte Glück mit der Schule, super Rektor, es war sehr individuell. Also die einzelnen Kinder wurden da abgeholt, wo sie gerade waren, von ihrer Intelligenz, von ihrer emotionalen Intelligenz, von allem, von ihrem Ausdruck, von der Sprache, wo sie gerade standen im Leben. Und das war für mich eine sehr, sehr gute Erfahrung.

Da war ich dann drei Jahre, dann sind wir zurück nach Deutschland gezogen, nach Süddeutschland. Da habe ich mich nicht mehr so zu Hause gefühlt wie am Anfang. Ich glaube, der Umzug hat da einiges in mir auch losgerüttelt, so zu verstehen, wie groß die Welt ist und es gibt andere Kontinente und das Leben geht auf jedem Kontinent weiter, egal ob du auf dem Kontinent bist oder nicht. Das hat mir auch so eine gewisse Demütigkeit mitgegeben. Und dann war ich auf einer internationalen Schule, war sehr leistungsbetont, habe das zum Glück gut geschafft, abgeschlossen, habe mich da auch ans Lernen wieder gewöhnt, sage ich mal, das war eine gute Erfahrung.

Und dann bin ich aufgrund des internationalen Abiturs, das damals 2006 in Deutschland noch nicht akzeptiert wurde, nach England zum Studieren gezogen. Da war ich dann knapp 18, habe Kriminalistik und forensische Medizin studiert, vier Jahre lang. Und das war ein sehr gutes Studium, aber auch sehr harte Materie einfach. Man hat sehr viel mit der dunklen, ich nenne es jetzt mal die dunkle Seite der Menschheit zu tun, Kriminalität und kriminelles Verhalten. Und ja, das hat mich berührt, es hat mir auch viel über Gesellschaft und Sozialwesen beigebracht.

Danach wollte ich aber nicht mehr sozusagen in diesem akademischen Umfeld bleiben. Da war ich dann 21, 22, als ich fertig studiert habe. Da habe ich gemerkt, ich muss jetzt mal was anderes machen. Und dann habe ich angefangen, Kaffee zu machen, dann habe ich eine Weile lang als Barista-Trainer gearbeitet. Dann bin ich von der Barista-Welt rüber in die Gastronomie, dann habe ich sehr viel gastronomische, unterschiedliche gastronomische Orte kennengelernt, vom Marktstand mit Käse bis hin zum Fünf-Sterne-Restaurant in irgendeinem super teuren Hotel. Also ich habe so die ganze Bandbreite mitgemacht. Da hat sich, glaube ich, mein Verständnis von guten Lebensmitteln verfestigt, würde ich sagen. Also da habe ich gemerkt, so wow, wenn der Koch wirklich auf seine Chicorées wartet und dann jeden einzelnen Chicorée in die Hand nimmt und begutachtet und danach irgendwie zehn oder zwölf Tage an einem Rezept rumpfeilt, wie er jetzt diesen Chicorée am besten zur Geltung bringt, das war faszinierend für mich. Also das habe ich als eine richtig gute Zeit empfunden.

Gastronomie, kann man ja auch sagen, ist jetzt für sensible Menschen vielleicht nicht das geeignetste Umfeld. Ich habe mich, glaube ich, immer gut angepasst. Also ich bin wie so ein Chamäleon, ich kann mich dann recht gut an ein Umfeld anpassen. Insgesamt waren das, glaube ich, 16 Jahre. Und danach habe ich gemerkt: So, ich muss was anderes machen im Leben, ich kann nicht immer Chamäleon sein, ich möchte jetzt mal Janne sein. Und das war so mit ungefähr 30, genau.

Dann habe ich mich selbstständig gemacht. Ist jetzt auch interessant, das so rückwirkend noch mal zu... rückblickend so zu betrachten. Selbstständig gemacht mit einem Saftladen in Berlin. Und da war die Idee: hochwertige Früchte und Gemüsesorten, Nüsse, Demeter-Qualität tatsächlich. Also war mir sehr wichtig, schon immer, weil ich einfach mit so Gentechnik, Chemie, ich werde da nicht warm. Also ich kann es nicht wirklich erklären, es ist einfach so, es fühlt sich unnatürlich an und ich habe da so eine Art Aversion und habe das in meinem Laden auch super strikt durchgezogen. Das lief dann ungefähr vier Jahre. Die Idee war, die Stadtmenschen – so wie ich, acht Jahre Berlin, acht Jahre London, ich war voll der Stadtmensch, U-Bahn fahren, Abgase einatmen, Zigaretten rauchen, Exkremente auf dem Boden, Müll überall, viele, viele Menschen, Überfüllung – ich wollte diesen Menschen, die so leben, ein Stück Natur geben. Und der Laden hieß auch so, "BTTR" war die Abkürzung, "Back to the Roots". Es ging einfach um Frische im Leben und gesund bleiben. Ich bin überzeugt davon, dass es mit der Ernährung ganz stark zusammenhängt, habe es auch am eigenen Leib gespürt, jetzt ein paar Jahre lang.

Diese Selbstständigkeit war krass, gut und schlecht und alles zwischendrin. Ich habe sehr viel gelernt. Nach der Selbstständigkeit, die ich aufgrund von Corona aufgegeben habe tatsächlich – also Corona-Pandemie 2019/20 – habe ich dann gemerkt, so Ende 20, das könnte jetzt schiefgehen. Nehme ich jetzt noch mal einen Kredit auf, wage ich das oder nicht? Habe lange rumüberlegt, ich glaube insgesamt sechs Monate, und habe mich dann schweren Herzens entschlossen, tatsächlich diesen Laden und diese Selbstständigkeit aufzugeben. Also im wahrsten Sinne des Wortes. Das war sehr, sehr schwierig für mich. Ich hatte zu dem Zeitpunkt richtig tolle Mitarbeiter, mit denen ich mich auch immer noch sehr gut verstehe, genau. Aber dieses Konzept von Erfolg und die Aufgabe dessen, ich glaube, das war das, was mich am meisten berührt hat an dieser Thematik. Und ich glaube, ich hatte auch psychisch schon sehr, sehr mit dieser Selbstständigkeit zu kämpfen. Also es war – und ich benutze das Wort "kämpfen" sehr bewusst – weil es war, ich wollte das, ich wollte diese Idee realisieren, aber es war nicht in meinem Charakter, diese Verantwortung zu haben, finanziell, für das Geschäft auch, für die Mitarbeiter. Irgendwann kam nach vier Jahren die Realisation: Das hängt mir alles hier so drin.

Und dann habe ich mich da befreit, worüber ich sehr dankbar bin, über die Unterstützung von meiner Familie. Die haben mich da wirklich sehr, sehr unterstützt, also mental sowie finanziell, das hätte ich ohne die nicht geschafft. Sehr dankbar, vielen Dank.

Der Wendepunkt: Wwoofing in England 00:10:12

Und dann bin ich nach England zurück, weil ich mich da richtig wohlgefühlt habe, und habe gedacht: Wenn du dich regenerieren möchtest, gehst du jetzt in eine Klinik für Burnout, wo du in einem sehr sterilen Umfeld irgendwie behandelt wirst und vielleicht ein bisschen malst, ein bisschen spazieren gehst oder Gesprächstherapie machst – oder gehst du in die Natur? Und ich hatte schon ein bisschen Angst vor diesem Schritt, weil ich zu dem Zeitpunkt echt schwach war, also mental sowie körperlich. Mir ging es wirklich nicht gut. Das war auch ein Zeichen von diesem Kampf, der sich über viele Jahre eben durchgezogen hat.

Und dann bin ich nach England, nach Südengland, habe dort gewwooft. Also für die, die das nicht kennen, das ist freiwillige Tätigkeit auf Höfen, die eben nach Biozertifizierung arbeiten oder in dem Fall "organic farming". Habe dort meinen ersten Kontakt mit der Landwirtschaft gehabt und fand es so erfüllend. Ich kann kein anderes Wort benutzen. Also es war wirklich schwere Arbeit von morgens um fünf... mittags haben wir Mittagspause 12, 12:30 Uhr gehabt, eine Stunde, dann ging es weiter von 14 Uhr, 13:30 bis, ja abends manchmal bis 20 Uhr. Also wir haben wirklich geackert auf dem Acker.

Es war wirklich eine echt tolle Erfahrung, im Team zu arbeiten mit Menschen, die gleichgesinnt waren, die Lebensmittel genauso wertschätzen wie ich, an der freien Luft zu sein, die Erde jeden Tag zu spüren. Gibt es wohl auch Studien zu, dass man irgendwie das Mikrobiom anreichert, wenn man sich mit der Erde befasst, wenn man die Erde oft in der Hand hält und dann natürlich auch einatmet. Und ich habe das Gefühl, mich hat dieser Aufenthalt in England komplett regeneriert als Mensch. Also ich war wirklich zwei Jahre lang... also es lief nicht alles super, ich will das gar nicht schönreden. Da gab es auch richtig schwierige Momente zwischenmenschlich und im Team sind dann manche Leute auch gegangen, dann kamen neue dazu, dann habe ich auch mal den Betrieb gewechselt. Also das Leben mit Höhen und Tiefen, also so wie glaube ich immer. Aber es hat mir als Mensch einfach gezeigt: So, oh Gott, es gibt ja noch einen ganz anderen Rhythmus. Man kann ja wirklich in einem anderen Rhythmus tätig sein.

In der Landwirtschaft hat man furchtbar viele Hüte auf. Also von irgendwie... man muss Mathe können oder sollte man zumindest, man sollte irgendwie Maschinen verstehen – wo kommt Öl rein, wo kommt Benzin rein, wie erkenne ich Luftdruck im Reifen – bis hin zu so den feinsten Geizarbeiten oder auch ja überhaupt zu verstehen, wie der Rhythmus, der Zyklus, der Jahreszyklus auch verläuft. Also wann pflanze ich was an und die Jahreszeiten und das Wetter. Und es ist eine richtig... es bringt alles im Menschen zusammen, habe ich das Gefühl. Also man kann sich da nicht nur einseitig mit irgendwas beschäftigen, man sollte wirklich den Betrieb auch als Ganzes verstehen. Da habe ich richtig viel aus England mitgenommen. Also hört man glaube ich auch. Ich habe echt viel verstanden über mich, ich habe viel selbst reflektiert. Ich habe das mit der Berlin-Geschichte und mit dieser Selbstständigkeit gut verarbeitet. Und jetzt sitze ich hier und mache eine Ausbildung mit 37.

Die Ausbildung in der Landwirtschaft: Werte und Sinnsuche 00:14:09

Die Ausbildung hat für mich so ein neues Kapitel aufgemacht, wo ich sehr authentisch zu mir selber sagen konnte: Das ist etwas, womit ich jetzt die nächsten drei Jahre verbringe. Weil sonst hätte ich weiter wwoofen können, ich hätte weiter ehrenamtlich wo arbeiten können, eben gegen Kost und Logis, vielleicht nebenher noch einen Job gehabt, der mir richtig gut Geld einbringt oder diese ganzen Floskeln, die ich mir früher auch, die ich früher für wichtig hielt. Und ich glaube, dass die Landwirtschaft einen schon sehr fordert, sich mit seinen eigenen Werten auseinanderzusetzen.

Also zum Beispiel, ich war noch nie super materialistisch, würde ich sagen. Also mir war es nie wichtig, fahre ich jetzt ein schickes Auto oder habe ich viel Geld auf dem Konto. So das sind Dinge, die für mich so fragil sind und so unnütz. Also ich möchte es nicht schlechtreden, also es ist nur eine persönliche Empfindung. Das ist einfach... ich habe nicht dieses Bedürfnis, mich durch Statussymbole zu präsentieren. Und ich glaube, die Landwirtschaft geht aber noch einen Schritt weiter, weil also so Leute gehen, glaube ich, nicht unbedingt jetzt aufs Feld und fahren dann 20 Jahre Traktor und sind happy mit einem Weizenertrag, den sie dann verkaufen oder Kartoffeln. Ich glaube, das zieht diese Menschen nicht unbedingt an. Also dann sind es Ausnahmen.

Ich glaube, die Landwirtschaft zieht Menschen an, die sich mit sich selber auseinandersetzen möchten, die sich mit dem Weltgeschehen auseinandersetzen möchten. Die biodynamische Landwirtschaft eben auch noch mit dem spirituellen Ansatz. Und das ist das, was mich auch an diese Ausbildung, ich glaube, so hingeführt hat. Weil ich frage mich auch des Öfteren so: Wie bin ich denn eigentlich hierhergekommen? Also warum habe ich mich entschieden, nachdem ich zurück nach Deutschland gekommen bin, in einem Bioladen zu arbeiten und dann über diesen Bioladen einen Hof kennenzulernen und dann über diesen Hof die Ausbildung kennenzulernen und jetzt über die Ausbildung den Dottenfelderhof kennenzulernen? So, wie passiert das? Das sind ja unbewusst oder bewusste Entscheidungen, die man trifft. Und diesen Weg zu reflektieren, finde ich sowieso sehr spannend.

Und auch die Leute, die man in der Ausbildung kennenlernt, haben alle ihre eigene Lebensgeschichte. Die bringen super viel mit, Gutes und Schlechtes und tolle Erfahrungen und eher schwierige Erfahrungen. Super lernbegeisterte Menschen, die aber in der Schule Schwierigkeiten hatten zum Beispiel, aber super intelligente Menschen auch. Und die Landwirtschaft in diesem Bereich, wo ich mich jetzt befinde, in der biodynamischen Landwirtschaft, ist natürlich auch geprägt von Gegensätzen. Also man hat das Bedürfnis, mit der Natur zu arbeiten oder draußen zu arbeiten. Man hat das Bedürfnis, die Bodengesundheit zu verbessern oder die Welt generell ein bisschen – sehr idealistisch gesprochen – aber besser zu verlassen, als man sie vorfindet vielleicht und zumindest nicht schlechter.

Die biodynamische Landwirtschaft ist natürlich sehr mit dem auch steinerischen Weltbild verbunden. Da muss man sich auch erst mal reinfühlen und merken: Passt das für mich? So, ist Anthroposophie... sind es nur so Spinner, die irgendwie mit dem Mondschein arbeiten oder Kuhhörner eingraben? Also die Fragen, die ich alle schon bekommen habe, seitdem ich die Ausbildung angefangen habe, sind sehr, sehr interessant. Und ich freue mich jedes Mal, wenn ich so ein Gespräch führen kann, weil es zieht die Leute ja offensichtlich dahin, sonst würden sie ja die Fragen gar nicht fragen. Sonst wäre es ja so: "Ah ja, Janne, wie geht's dir? Machst du Ausbildung? Ah cool, okay, ciao." Sie fragen nach, sie möchten wissen: "Wie ist das und fährst du dann Traktor und melkst du Kühe?" Und das bringt ja irgendwas im Menschen raus, was ihn oder sie fasziniert. Also das ist schon eine sehr spannende Erfahrung, die man da macht.

Und ich bin auch nicht von allem begeistert in der Landwirtschaft, muss man auch sagen. Also man merkt auf den Höfen, die haben wirklich auch Probleme, einfach mit Pachtverträgen, super hohe Pachtverträge. Kartoffelpreis, das Kilo ist, glaube ich, gerade so niedrig wie vor 40 Jahren nicht mehr. Also es ist auch eine schwierige Welt, weil eben dieses Materielle und dieser Kapitalismus so stark unsere Gesellschaft prägen.

Und ich bin ja überzeugt davon – das ist jetzt auch wieder sehr idealistisch – aber ich bin überzeugt davon, dass wir in einer Tauschgesellschaft sehr viel glücklicher wären, weil das wirklich den Wert der Dinge ausdrücken würde. Ich tausche sechs Eier gegen einen Liter Milch oder ich tausche ein Kilo Weizen gegen ein Pfund Butter. Also ich glaube, das Geld bringt uns nicht weiter und ich glaube auch, dass Geld nicht glücklich macht. Ich glaube, dass Geld frei macht. Das ist jetzt ein langer Bogen zurück, warum dieser Materialismus sich in meinem Leben nie verfestigt hat. Weil ich komme aus einer Familie, in der Geld schon eine große Rolle spielt. Und ich bin so gefühlt das schwarze Schaf, weil ich nicht BWL studiert habe und die Selbstständigkeit aufgegeben habe, womit ich ja also ungefähr viermal mehr Geld verdient habe wie jetzt in der Ausbildung. Aber es ist mir nicht wichtig. Geld drückt für mich nicht Glück aus oder Zufriedenheit oder diese Dinge, die mir halt immer wichtiger geworden sind.

Und die Landwirtschaft hat mich in dem Sinne – und die Ausbildung vor allem – hat mich wirklich zentriert. Also auch was ich vorher gesagt habe oder wovon ich erzählt habe mit England, so diesen ersten Kontakt, der war wirklich sehr, sehr besonders, weil ich davor sehr, sehr viel Zeit am Schreibtisch oder eben in der Gastronomie eben in so einer Servier-Kellner-Tätigkeit verbracht habe. Das mich auch befriedigt hat auf eine Art, aber es hat mir was gefehlt. Und in der Landwirtschaft hat man wie gesagt so viele Hüte auf, da kann man sich auch selber fordern, herausfordern, wenn man das möchte.

Aber die Landwirtschaft, die Ausbildung, die Landwirtschaft, sie zentriert einen, sie gibt einem sehr viel zurück und man ist nicht so auf sich fokussiert. Ich glaube, man ist mehr am großen Ganzen interessiert. Und das befriedigt mich mittlerweile einfach mehr als "ich, ich, ich, ich habe so viele Stunden gearbeitet, ich habe so viel Geld auf dem Konto, ich habe so viel erledigt, ich habe so viel geschafft, ich, ich, ich", das in der Stadt halt sehr, sehr im Vorrang steht. Weil letztendlich ist man in der Stadt unter tausend von Menschen, aber auch komplett allein. Und das ist jetzt hier auf dem Land nicht anders, man ist natürlich auch alleine, aber man lebt oft in einer Gemeinschaft, weil es alleine gar nicht geht. Also man kann keinen Hof alleine führen, also dann müsste es wirklich ein sehr kleiner Hof sein. Man ist auf andere Menschen angewiesen und ich glaube, dass das mehr im Naturell des Menschen steckt, so zu leben und sich zu grüßen. Das kennen wir alle, wenn wir aufs Land fahren: Auf einmal sagen alle Leute "Hallo, hallo, hallo". In der Stadt – ich meine, man begegnet in der Stadt 50 bis 100 Menschen oder mehr – man kann nicht jedem hallo sagen. Aber ich glaube, das ist für hier nicht gesund. Ich glaube, das ist für unser Wesen, diese Anonymität – das ist eine starke Meinung – aber ich glaube, es ist nicht gesund.

Und deshalb bin ich mit der Ausbildung schon glücklich. Also es gibt Stellen, wo ich wünschte, dass die Politik auch ein bisschen mehr fördern würde. Also die, gerade die biodynamische Landwirtschaft, wahrscheinlich haben wir keine stark genuge Lobby, keine Ahnung, was das Problem ist. Aber also die Azubis, die haben es schon nicht so ganz leicht manchmal. Aber ich glaube, das ist in einer anderen Branche auch nicht anders. Aber ich kann trotzdem sagen, ich würde die Ausbildung jedem empfehlen, der irgendwie merkt: Es fehlt was in meinem Leben. So entweder eine gute Grundlage zu mir selber, eine gute Beziehung oder ja, dieses Spirituelle. Ich glaube, dass man das mit der Natur sehr, sehr gut lernen kann. Wie wunderschön sind Dahlien zum Beispiel? Dahlien sind doch so ziemlich das Spirituellste, was es gibt, glaube ich, was ich in letzter Zeit gesehen habe, auf der Insel Mainau am Bodensee.

Ja, also ich würde die Ausbildung auf alle Fälle, hätte ich sie jetzt nicht gemacht, würde ich sie jetzt auf alle Fälle noch mal machen. Also ich würde nichts daran verändern. Mal gucken, was ich in drei Jahren sage.

Sinnhaftigkeit von Arbeit und persönlicher Weg 00:25:10

Ich habe aber noch was dazu, weil, also ich beschäftige mich schon seit ein paar Jahren eigentlich mit der Frage, warum so viele Menschen so unglücklich sind. Das ist schon... es gibt Depressionen so viel, es gibt Autoimmunstörungen, unfassbar hohe Zahlen, Psychosen, ADHS, Autismus, es gibt eine ganze Bandbreite an Dingen. Und dann gibt es noch super viele unglückliche Menschen dazu, die ein Leben führen, das auf dem Papier richtig gut wirkt, aber sie sind so unglücklich. Und ich mache es mir nicht an, zu urteilen, urteilen zu können über jemand: Ist der jetzt glücklich, ist der jetzt unglücklich? Aber ich frage mich dann schon, gerade die ältere Generation... Ich schaue mir halt ganz oft die Kriegsveteranen an, die wurden in Krieg geschickt. Also in Amerika ist es ja ein Riesenthema, in Deutschland wird da jetzt auch ein bisschen mehr darüber geredet, wobei es da nicht so viele Veteranen gibt, weil sie alle tot sind, leider.

Die ältere Generation gibt ihr Leben auf für die Arbeit und dann gehen sie in Rente und jetzt mal ein krasses Beispiel: Sie gehen Flaschen sammeln. Ich sehe einen älteren Herrn... ich habe früher... also ich bin immer mit der gleichen U-Bahn-Linie gefahren und ich habe immer den gleichen alten Mann gesehen. Der war bestimmt – Alter ist manchmal schwer zu schätzen – aber über 80 war er sicher. Mit seiner Plastiktüte, eine von Lidl und eine von Karstadt oder Kaufland. Und dann hat er immer die Mülleimer an dieser speziellen U-Bahn-Station entleert, weil da wirklich sehr, sehr viele Plastikflaschen und Dosen drin waren. Und ich dachte mir so: Wie fühlt der Mann sich? Der sammelt die Dosen auf von einer Generation, wenn sie sie in Mülleimer schmeißt, die es sich leisten können, irgendwie einen Energy Drink für 3,99 Euro zu kaufen, mit Pfand von 25 Cent oder 15 Cent. Und dieser Mann hat wahrscheinlich 60 Jahre gearbeitet und sammelt jetzt das Pfand von der jüngeren Generation auf, die ihn nicht mit einem Blick würdigt.

Und das ist nur ein Beispiel von super vielen Gedanken, die ich mir mache über so: Wofür arbeiten wir eigentlich? Arbeiten wir für uns? Arbeiten wir für die Gesellschaft? Arbeiten wir für das Sozialsystem? Arbeiten wir für inneren Frieden oder Befriedigung?

Ich habe ganz stark in meinem Berufsleben gemerkt – und ich habe ja wirklich viele Sachen getan – habe dann auch gedacht: Bewerbe ich mich jetzt bei der Polizei, weil das habe ich ja schließlich studiert, gehobener Dienst, das wäre ja der rote Faden in meinem Leben. Das hätte mich so unglücklich gemacht. Und ich wusste das schon davor, ich habe nur gedacht: Da ist so viel Geld da reingesteckt und ich habe studiert und dann war ich auf dieser teuren Privatschule davor und jetzt muss ich ja irgendwas rausholen, so dieser Gier, das steht mir ja zu. Ich bin so froh, dass ich es nicht gemacht habe. Ich bin so froh, dass ich auf Umwegen jetzt auf einem Pfad bin, wo es wirklich sehr, sehr darum geht, wie ich als Individuum – so empfinde ich es, das sind meine Worte – aber wie ich als Individuum in der Gesellschaft was beitragen kann. Wie ich mich nicht auf irgendwie den nächsten Urlaub freue oder das nächste Wochenende.

Ich kenne ganz viele Menschen in meinem Alter, die leben ja von Montag bis Freitag Arbeit und dann kommt Wochenende, dann lassen sie es krachen. Dann gehen sie feiern, dann gehen sie trinken, dann gehen sie rauchen, dann nehmen sie Drogen, dann konsumieren, konsumieren, konsumieren. Und dann kommt Montag und sie liegen völlig flach und ich denke mir: So ist das, das Leben, das ich... Also wie gesagt, wenn es Spaß macht, mach es weiter, so das ist... es ist dein Leben. Ich habe es auch zehn Jahre gemacht. Ich möchte es gar nicht irgendwie schlechtreden, es war eine geile Zeit. Aber es hat mir nichts Seelisches gebracht, es hat mich ehrlich gesagt leer gemacht.

Ich stand ja irgendwann in irgendeinem Club, ich weiß es noch, es war stockdunkel, laute Technomusik, irgendwo in Berlin, ich wüsste ehrlich gesagt nicht, wo es ist, weil ich hackedicht war, als ich da schon ankam. Und ich stand in diesem Raum und dieses Wummern und dann war ich so: Ich habe gerade 15 Euro bezahlt, dass ich hier in diesem Raum stehen kann, wo es keinen Sauerstoff hat. In dem... ich spüre immer so Emotionen von Menschen relativ stark, ich bin da sehr empfänglich, ich kann mich da so nicht so gut abgrenzen. Und da war sehr viel kaputt in diesem Raum und ich habe es super... es war wie auf dem... also es war unheimlich, es war... ich will es nicht sagen wie auf dem Friedhof, aber es war so eine tote Atmosphäre. Und Friedhof ist der einzige Vergleich, den ich habe. Und ich stand in diesem Raum, ich war glaube ich eine Viertelstunde dort und ich weiß nicht... ich gehe jetzt nach Hause, das ist doch völliger Schwachsinn, was wir hier machen, völliger Schwachsinn.

Und ich war dann zu Hause, da hat mein Hund auf mich gewartet, es war eine ganz tolle Begrüßung irgendwie um 4 Uhr morgens. Und ich kann mich so gut an diesen Abend erinnern, weil ich irgendwie gemerkt habe: Da hat sich jetzt gerade was umgelegt. Und es ist nichts passiert, es war nichts Schlimmes, es war nicht irgendwie "Ah, ich habe mit meinem Freund Schluss gemacht und ich war tottraurig", nee. Es war ein ganz normaler Abend, ich hatte eine gute Woche hinter mir, relativ gesehen. Ich habe sehr viel gearbeitet, es hat mich nicht wirklich erfüllt, aber ich habe es getan. Ich war mit meinem Schreibtisch im Reinen, es war alles okay. Ich stehe in diesem Club und ich merke: Das ist nicht das Leben, das ich führen möchte.

Und ich glaube, dass es viele Menschen gibt, denen es so geht, aber die sich nicht trauen aufzuhören, weil was danach kommt, ist nicht leicht. Also für mich war es gar nicht leicht. Und tatsächlich bin ich jetzt an einem Punkt, wo ich auch sagen kann: Okay, es ist nicht leicht, aber es ist zumindest ehrlich und authentisch und das tut mir sehr gut. Und ich glaube, das ist auch ein altersbedingtes Thema. Ich glaube, dass man mit 20 so feiern und trinken und man braucht auch so einen gewissen Ausbruch. Ist man jetzt sehr behütet aufgewachsen oder durfte man sowieso alles von seinen Eltern aus? Durfte man sich tätowieren – ich durfte es nicht, sieht man, ich habe ganz viele Tattoos – durfte man trinken, durfte man frei sein? Und ich glaube, dass viele Menschen, die so sehr rebellisch bleiben, nicht genügend ausgebrochen sind vielleicht oder ja, keine Ahnung, was da der Grund ist. Jedenfalls glaube ich, dass wenn man... wenn man das Gefühl hat, dass einem etwas nicht reicht oder das Leben nicht authentisch ist, lohnt es sich dem Gefühl zu folgen. Ich bin froh, dass ich es getan habe.

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Einzelnachweise

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